Blick über den Tellerrand: Der Green Deal der EU & die Schweiz

Blick über den Tellerrand: Mit dieser News-​Kategorie infomieren wir über grenzüberschreitende Themen und verlinken Neuigkeiten von anderen Akteuren

Quelle: Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik

 

Mit ihrem «Green Deal» hat die Europäische Union ein übergreifendes Programm gestartet, das weit über sie hinaus bedeutsam werden soll. Sein Inhalt und seine Relevanz für die Schweiz waren Gegenstand einer virtuellen, aber durchaus lebendigen Aussenpolitischen AULA.

Als der ÖVP-Politiker und frühere EU-Kommissar Franz Fischler vor bald vier Jahren in einer Aussenpolitischen AULA in Bern eine Nachhaltigkeitspolitik als ein «Projekt» vorschlug, das der europäischen Integration wieder mehr Strahlkraft verleihen könnte, wirkte die Idee nicht besonders realistisch. Die Lancierung eines «European Green Deal» durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überraschte im Dezember 2019 auch Sven Giegold, Europaparlamentarier der deutschen Grünen, der nun als Hauptreferent an der Zoom-Veranstaltung von SGA und Avenir Suisse aufgetreten ist. Dass die EU-Kommission die ökologische Frage derart in den Mittelpunkt stellt, führte er auf die gleichzeitigen Wahlerfolge der proeuropäischen und der grünen Kräfte zurück.

Ziele, Mittel – und Mängel
Das Grossprogramm, wie es Giegold kurz umriss, hat zum Ziel, die klimaschädlichen Emissionen rasch zu senken – entscheidend sei nicht das 2050 erreichte Niveau, sondern das bis dann reduzierte Gesamtvolumen. Zu den Instrumenten gehören ein Klimagesetz, danach Regulierungen für die einzelnen Sektoren, das Herbeiführen eines CO2-Preises mit Lenkungswirkung im Rahmen eines Emissionshandelssystems und eine ökologische Investitionsoffensive. Weil der Energieverbrauch in bestimmten Bereichen zu wenig auf den Preis reagiere und öffentliche Infrastrukturen (zum Beispiel Strasse/Schiene) nicht «neutral» seien, könne man nicht allein auf marktwirtschaftliche Mechanismen setzen.

Giegold teilt nicht zuletzt den Optimismus, der, auch in technologischer Hinsicht, hinter dem European Green Deal steckt, er hob aber auch mehrere Mängel hervor. So fehle es der EU, die sonst Vertragsverletzungsverfahren durchführen kann, noch an Sanktionsmöglichkeiten, um das Erreichen der Klimaziele auf nationaler Ebene durchzusetzen. Kaum verändert werde sodann die Agrarpolitik, indem neben neuen Massnahmen das bisherige Unterstützungssystem fortbestehe. Und unglaubwürdig sei das Versprechen, es solle «niemand zurückgelassen» werden. Denn der Strukturwandel, mit dem man lange zugewartet habe, dürfte für die Unternehmen wie für die Menschen «anstrengend» werden, und zur Verhinderung neuer Ungleichheiten wäre wesentlich mehr Geld notwendig. Es ist, wie Giegold bemerkte, nicht von einem «Green New Deal» die Rede, der unter anderem mehr makroökonomischen Interventionismus und eine starke sozialpolitische Komponente enthielte.

Vorbildfunktion angestrebt
In der von FDP-Nationalrätin und SGA-Präsidentin Christa Markwalder geleiteten Diskussion wies Eric Nussbaumer, SP-Nationalrat und Mitglied des SGA-Vorstands, auf Ähnlichkeiten der schweizerischen Klimapolitik hin. Einen Vorzug des europäischen Vorgehens sieht er im grösseren «Narrativ», einer übergreifenden Motivation für die Politik in verschiedenen Bereichen. Positiv am schweizerischen Ansatz beurteilt er die Kombination von Normensetzung, Lenkungsabgabe (mit freiwilligen Selbstverpflichtungen als Alternative) und Subventionen, etwa für Bauten, die über die obligatorischen Standards hinausgehen. Es sei wichtig, die Menschen «mitzunehmen», sagte Nussbaumer; die Klimapolitik sei kein Selbstläufer und den Abstimmungskampf um das CO2-Gesetz hätten die Befürworter noch nicht gewonnen.

Patrick Dümmler, Volkswirtschafter bei Avenir Suisse, möchte bei der Beurteilung der Klimapolitik die Effizienz stärker gewichtet sehen. Weil sich in manchen Ländern dank technologischer Unterstützung aus Europa mit relativ wenig Mitteln viel erreichen lasse, sei ein fix vorgegebener Anteil der im Inland zu reduzierenden Emissionen abzulehnen. Ausserdem liege der CO2-Fussabruck der Schweiz zu zwei Dritteln im Ausland. Giegold befürwortete zwar ein Engagement ausserhalb der eigenen Grenzen, nicht aber dessen Anrechnung bei den klimapolitischen Verpflichtungen. Es sei von zentraler Bedeutung, dass Europa als reichster, wenn auch «etwas dröge gewordener» Kontinent und als Mitverursacher des Klimawandels als Erster die Wende schaffe, damit man innert zehn Jahren global auf einen Absenkungspfad komme. Wenn man internationale Lösungen und faire Wettbewerbsbedingungen im Auge habe, sei im Weiteren der vorgesehene Ausgleichsmechanismus an der Grenze (Importabgaben auf klimaschädlich produzierten Waren) nur als Drohung oder Notwehr zu verstehen; Handelskriege könnten wir nicht brauchen. Dümmler hatte auf mögliche Auswirkungen des «Ausgleichs» auf die Schweiz hingewiesen und für einen Einbezug in den «Club» (Anerkennung der Äquivalenz) plädiert.

Bilaterales Ringen relativiert
Sven Giegold, der im Europaparlament auch der für die Schweiz zuständigen Delegation angehört, machte am Schluss noch in anderer Hinsicht die Prioritäten bewusst, indem er von sich aus auf die Mühen mit dem Rahmenabkommen Schweiz – EU zu sprechen kam. Dafür keine Lösung zu finden, könnten wir uns nicht leisten, sagte er. Er sei für «eine weniger sture Haltung» von Brüssel – Sanktionen nützten niemandem – , doch auch Bern müsste ein Angebot machen. «Wir müssen diese Kuh vom Hals bekommen.»

Zurück