Aus den Erfahrungen der Grenzschließung lernen

21.07.20, Waldshut-Tiengen: Absperrband, Zaun, Durchfahrt-Verboten-Schilder: Was an europäischen Binnengrenzen bis vor Kurzem undenkbar war, erlebten die Menschen am Hochrhein wochenlang als neuen Alltag. Wer könnte also besser wissen, was gut lief und was auf keinen Fall wiederholt werden darf?

Die deutsch-schweizerische Hochrheinkommission (HRK) veranstaltete zusammen mit dem Staatsministerium Baden-Württemberg im Juni 2020 zwei virtuelle Bürgerdialoge, um von den Erfahrungen der Bewohnerschaft am Hochrhein zu lernen. „Wir lernten engagierte Bürgerinnen und Bürger kennen, die für viele Maßnahmen Verständnis zeigten, zugleich aber auch deutlich sagten, was ihr Leben und Arbeiten erschwerte. Wir hoffen alle, dass eine solche Grenzschließung nie wieder eintritt. Sollte es dennoch passieren, müssen die Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner unseres eng verflochtenen Lebens- und Wirtschaftsraums wo immer möglich mehr Berücksichtigung finden“, resümiert die Präsidentin der HRK, Landrätin Marion Dammann. „Die Grenzschließung hat uns vor Augen geführt, wie sehr wir uns an offene Grenzen im Schengenraum gewöhnt haben", fasst die Aargauer Staatsschreiberin Vincenza Trivigno die erhaltenen Eindrücke zusammen.

Die Stimmen der Region sollen gehört werden

In einem Brief an die Entscheidungsträger in Berlin, Bern und Brüssel fasst die HRK zusammen, was aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger aus der Grenzschließung gelernt und künftig verbessert werden sollte. Genannt werden unter anderem die Vereinheitlichung der Corona-Regeln, die reibungslose Nachverfolgung der Infektionsketten über die Ländergrenzen hinweg und die Aufrechterhaltung des kleinen Grenzverkehrs. Ob mit Sonderzonen, Vignetten oder Passierscheinen, für die Menschen vor Ort sollte der Grenzübertritt möglich bleiben.

 

Wichtige gewonnene Erkenntnisse aus Sicht unserer Grenzregion

  • Grenzschließung: Die Akzeptanz der Grenzschließungen innerhalb der Bevölkerung war stark mit den tragischen Berichten aus den Hot Spots in Mailand und im Elsass verbunden. Für viele Menschen war es absolut nachvollziehbar, dass in einer solchen Lage die Grenzen geschlossen werden müssen. Die Bürgerdialoge haben eindeutig gezeigt, dass künftige Grenzschließungen nicht generell, sondern regional – und damit für unsere Region auch grenzüberschreitend – gedacht werden müssen. Der Lebens- und Wirtschaftsraum am Hochrhein ist derart eng verflochten, dass eine Eindämmung des Virus in der Logik nationaler Grenzen kaum Erfolg verspricht. Enge Abstimmung mit den Nachbarländern: Eine erneute Grenzschließung müsste in engster Abstimmung, gemeinsam und koordiniert mit den jeweiligen Nachbarländern und wenn immer möglich mit den Gebietskörperschaften der Grenzregionen erfolgen. Die Behördenkommunikation müsste ebenfalls verstärkt werden.
  • Kleinen Grenzverkehr aufrechterhalten: Um im Falle einer erneuten Grenzschließung tiefe Einschnitte für die Bewohnerschaft in der Grenzregion zu vermeiden, schlagen wir vor, in der Grenzregion Sonderzonen mit Passiermöglichkeiten für Berechtigte vorzusehen. Ob durch Nutzung eines Passierscheines, einer Vignette oder über die Erkennung durch Fahrzeuge mit regionalen Kennzeichen – den Bürgerinnen und Bürgern der Grenzregion sollte der Grenzübertritt nicht verwehrt bleiben.

  • Corona-Warn-Apps: Um das Infektionsgeschehen in der Grenzregion erfolgreich beobachten und eindämmen zu können, müssen die Warn-Apps der europäischen Länder miteinander funktionieren. Das gilt insbesondere für eng verflochtene Grenzräume, wie diejenigen zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz – mit Blick auf die Urlaubssaison aber auch für ganz Europa.

  • Grenzüberschreitende Nachverfolgung von Infektionsketten: Zur Eindämmung von Infektionswellen im Grenzgebiet ist von großer Bedeutung, dass grenzüberschreitende Meldewege etabliert und Maßnahmen zur Nachverfolgung grenzüberschreitender Infektionsketten harmonisiert werden.

  • Einheitliche Regelungen: Bürgerinnen und Bürger der Grenzregion müssen aktuell drei verschiedene Präventions-Regelwerke aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz berücksichtigen, wenn sie ihren Alltag in unserer Region bestreiten möchten. Dies stellt eine kognitive Herausforderung dar, die im Zweifel zu nicht beabsichtigten Regelverstößen führen kann. Daher wäre es geboten, die Präventionsmaßnahmen auf Ebene der Länder zu vereinheitlichen.

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